Body, Body, Body!
„You know, sometimes we’re not prepared for adversity… Sometimes, we don’t know just what to do when adversity takes over. And I have advice for all of us, I got it from my pianist Joe Zawinul who wrote this tune. And it sounds like what you’re supposed to say when you have that kind of problem. It’s called Mercy, Mercy, Mercy!“
So lautet das Intro des Bandleaders Julian „Cannonball“ Adderley zu einer der berühmtesten Jazznummern der Musikgeschichte. Nach den Erkenntnissen zeitgemäßer psychologischer Forschung könnte man den gutgemeinten Rat um Gnade zu bitten, wenn es herausfordernd oder schwierig wird, getrost in ein an sich selbst gerichtetes „Body, Body, Body!“ abändern. Der Weg zum Seelenheil, um im religiösen Kontext von „Cannonball“ Adderley zu verbleiben, wird vorwiegend im Innen gesucht. In der Auseinandersetzung mit uns innewohnenden „geistigen“ Schwächen und Stärken. Die wohltuende Wirkung unseres Körpers auf unsere Seele bzw. Psyche ist zwar seit jeher bekannt, doch bewegen sich die Empfehlungen dazu häufig in einem Terrain, das nicht unbedingt gerne aufgesucht wird. Von Selbstkasteiung bis zu extensiver sportlicher Betätigung. Und auch wenn gerne sich aufs Rad geschwungen, in die Joggingschuhe geschlüpft oder im Yoga-Studio gedehnt wird, bleibt die Regelmäßigkeit dieser Betätigungen ein verbreitetes Problem. Würde man es schaffen, diese fortlaufend in unseren Alltag zu integrieren, wären deren günstige Folgen für unser aller Leben unbestritten. Darin sind sich medizinische und psychologische Forschung einig. Diese gewährt gerade in den letzten Jahren immer tiefere und differenziertere Einblicke in die Wechselwirkungen zwischen Körper und Psyche. Fehlende Teile dieses großen Puzzles werden ergänzt und führen zu einer guten Nachricht für alle, die wieder einmal an ihren guten Vorsätzen für mehr Sport und Bewegung gescheitert sind. Veränderungen unserer Körperhaltungen, die wir jederzeit in unserem Alltag vornehmen können, führen bereits zu erstaunlich positiven Effekten.
Besonders hilfreiche Erkenntnisse liefert die amerikanische Sozialpsychologin Amy Cuddy, deren „TED-Talk“ zu diesem Thema ihr weltweite Aufmerksamkeit beschert hat. In ihrem Buch „Dein Körper spricht für dich“ versammelt sie eigene und fremde Forschungsergebnisse.
Dein Körper spricht zu Dir
Die Kernaussage liegt darin, dass die Außen- und Innenwirkung von Körperhaltungen bzw. -positionen synchronisiert wird. Unser Körper spricht nicht nur zu anderen, sondern auch zu uns selbst über das Netzwerk zwischen Gehirn, autonomem Nervensystem, endokrinem System (das die Hormonausschüttung steuert) und Immunsystem. Wohin unser Körper uns führt, dorthin folgen unsere Gedanken und Gefühle.
Eine wesentliche Komponente bildet, wie viel Raum wir mit unseren Körperhaltungen einnehmen bzw. wie viel von unserer Körperfläche wir sichtbar machen. Eine expansive, offene Körpersprache vermittelt bei Tieren wie bei Menschen Sicherheit, Stärke oder Dominanz. Unsicherheit, Schwäche oder Unterwerfung werden mit einem körperlichen Kleinmachen, Krümmen oder Zusammenfalten verbunden. Amy Cuddy und ihr Team identifizierten eine Reihe von Posen, die entweder mit Macht (“power poses”) oder Machtlosigkeit assoziiert werden. In einer von ihr durchgeführten Untersuchung nahm eine Gruppe von Versuchspersonen für wenige Minuten eine der machtvollen Posen und eine Vergleichsgruppe eine der machtlosen Posen ein. Anschließend mussten alle Personen ein Bewerbungsgespräch absolvieren. Unabhängige, mit dem Zweck der Untersuchung nicht vertraute ExpertInnen, bewerteten die TeilnehmerInnen der ersten Gruppe signifikant besser. Diese schätzten sich selbst in einem Fragebogen auch deutlich stärker und verantwortungsbewusster ein als die TeilnehmerInnen der Vergleichsgruppe. Zudem unterschied sich auch der bei beiden Gruppen vor und nach der Untersuchung gemessene Hormonspiegel signifikant. Nach Einnahme der “power poses” stieg der Testosteron- und sank der Cortisolspiegel. Testosteron als Aktivierungshormon erzeugt ein Verhalten, das hilft Herausforderungen anzunehmen. Cortisol als Stresshormon erhöht die Wahrscheinlichkeit, schwierige Situationen zu meiden. Bei der der Vergleichsgruppe verhielt sich die Veränderung der Hormonspiegel genau umgekehrt. Die positive Wirkung offener, sich weitender Körperhaltungen wurde in einer Reihe von Studien bestätigt. Wir nehmen uns selbstbewusster und kompetenter wahr und fühlen uns stärker und zuversichtlicher.
Kleine Anstöße
Mit dem Bewusstsein für diese Ergebnisse können wir unserer alltäglichen Körperlichkeit neue Qualität verleihen und einfach durchzuführende körperliche Veränderungen in unser Leben integrieren. Probieren Sie es aus, große Haltungen vor für Sie großen Herausforderungen wie bspw. Verhandlungen, Präsentationen, Castings, Bewerbungs- oder Klärungsgesprächen einzunehmen. Wenige Minuten an Orten, an denen Sie unbeobachtet sind, reichen:
- Zu Hause oder im Büro
- An Orten im öffentlichen Raum wie Toiletten oder Stiegenhäusern
- Widerstehen Sie der Versuchung, sich in Wartesituationen in Ihr Handy zu versenken. In einer Untersuchung wurde gezeigt, dass Personen die, aufrecht sitzend, Aufgaben auf einem Computerbildschirm lösten anschließend signifikant selbstbewussteres Verhalten zeigten als Personen, welche die gleichen Aufgaben auf einem Smartphone lösten. Stehen Sie auf, gehen Sie herum oder suchen sich eine aufgerichtete Position mit ausgebreiteten Armen im Sitzen.
- Schließlich konnte belegt werden, dass auch die innere Vorstellung einer großen Pose einen vergleichbaren Effekt erzielt wie die tatsächliche Einnahme der Pose.
In Gesprächssituationen oder Interaktionen würden diese Posen wohl übertrieben und kontraproduktiv wirken. Aber ein selbstsicherer Status lässt sich auch durch subtilere Justierungen erreichen. Hierzu einige Anregungen:
- Von einem aufgerichteten Körper ausgehend, heben Sie sachte das Brustbein an. Dies bewirkt, dass der Brustkorb sich weitet und die Schultern nach hinten sinken.
- Stellen Sie im Sitzen die Füße auf den Boden, um sich ein sicheres Gefühl zu geben.
- Heben Sie das Kinn so weit an, bis Sie das Gefühl haben, Blickkontakt „auf Augenhöhe“ zu haben.
- Spüren Sie bei Vorträgen „Luftpölster“ unter Ihren Armen, um Raum zwischen Ihren Oberarmen und Ihrem Oberkörper zu lassen.
- Wenn Sie dazu tendieren, zu schnell oder hastig zu sprechen, atmen Sie in einer Gesprächspause unhörbar aus, bis Sie das Gefühl haben, dass sich keine Luft mehr in Ihrem Körper befindet. Lassen Sie einige Sekunden verstreichen, bis Sie wieder Luft in den Körper einströmen lassen. Tiefe Atmung hilft, Ihr Tempo zu verlangsamen. Auch dies ist eine Form der Weitung und Dehnung.
- Interessieren Sie sich für Details im Aussehen oder an der Kleidung Ihres Gegenübers. Sowohl die Einrichtung des Körpers als auch die Fokussierung auf Details im Außen helfen, von hindernder Selbsteobachtung und Gedanken wie „Hoffentlich merkt niemand, wie unsicher ich bin“ zu befreien.
Begleitend können wir ein Sensorium für unsere Körperpostionen entwickeln und uns kleine Anstöße zur Aufrichtung geben, wenn diese in Richtung „Machtlosigkeit“ tendieren. Wir können alle erdenklichen Gelegenheiten nutzen, uns zu strecken oder dehnen, bspw. schon in der Früh im Bett. „Power poses“ lassen sich mit vielen Alltagsroutinen verbinden, wie etwa dem Zähneputzen. Vielleicht erteilen wir auch vertrauten Menschen die Erlaubnis, uns darauf hinzuweisen, wenn wir „einsinken“. Das Ziel einer nachhaltigen Veränderung erreichen wir durch stetige, niederschwellige „Verhaltens-Interventionen“. Verhalten verstärkt unser Verhalten. Wir leiten unsere Einstellung öfter von unserem Verhalten ab, als umgekehrt.
Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu
Cuddy stellt die Thematik in einen größeren Zusammenhang. Der Zustand, in dem ich mich mit den eigenen Gedanken, Gefühlen, Werten und Fähigkeiten im Einklang befinde und in der Lage bin, ihnen Ausdruck zu verleihen, erzeugt Präsenz. Diese Präsenz, die im eigentlichen Wortsinn so viel wie Anwesendsein oder Sichtbarsein bedeutet, können wir immer wieder, in unterschiedlichen Lebenssituationen erreichen und damit unser “authentisches, bestes Selbst” zum Ausdruck bringen. “Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu” heißt es in einem Stück von Ödön von Horvath. Geben wir also anderen die Chance uns wahrzunehmen, so wie wir sind: In der Fülle unserer Präsenz und Kompetenz.
BLOGBEITRAG VON WERNER LANDSGESELL
Literaturempfehlungen:
- Dein Körper spricht für dich: Von innen wirken, überzeugen, ausstrahlen (Cuddy A., Verlag „Mosaik“)
- Embodiment: Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen (Tschacher W., Storch M., Hüther G., Cantieni B., Verlag „Hogrefe“)